Dorit – das Plus Size Supermodel
Ich werde jetzt Model
Gestern begann das Abenteuer meines Lebens. Oh ja, es wird aufregend und spannend. Ich werde in der Welt rumreisen und mich im Jetset bewegen. Rom, Paris, Mailand wird mein zweites Zuhause und in London und New York habe ich Wohnungen. Mein Leben wird einfach nur wunderbar und ich habe eine Million Follower auf Instagram. Die Reichweite meines Blogs wird explodieren und ich kann mich vor Werbepartnern nicht mehr retten.
Ja, ich werde Model. Supermodel sogar. Alles ist rosarot und himmelblau.
Ok, Dorit komm´ mal wieder runter.
Die ganze Sache fing im Februar an. Hmm, eigentlich fing die ganze Sache im Dezember an. Egal! Sowohl im Dezember wie auch im Februar war ich auf einem Style Event. Ich bewege mich in der gold-glitzernden Welt der Mode und deshalb muss ich natürlich auch auf einem Style Event anwesend sein. Eigentlich war es ganz einfach, ich habe auf Facebook eine Einladung von Sheego zu einem Style Event gesehen und die Möglichkeit, sich anzumelden. Gelesen, getan und hingefahren. Es war ein netter Abend, es gab was zu trinken, es gab was zu knabbern, es gab die neueste Mode. Viele andere Frauen, ganz normale so wie ich, haben die Gelegenheit genutzt und wir haben geschwätzt, uns gegenseitig bewundert und Tipps gegeben. Wir hatten die Möglichkeit uns schminken und frisieren zu lassen und es war sogar eine Fotografin da. Mit anderen Worten: Ich hatte Spaß.
Gestern nun, an einem verregneten Samstag im April gab es das nächste Style Event. Dieses Mal tagsüber und sogar mit Erweiterung, es wurde das neue Gesicht der Kampagne 2020 gesucht. Also nichts wie hin. Es ist doch ganz klar, das Gesicht werde ich sein.
Oder die Erstgeborene! Die wollte nämlich unbedingt mitfahren und damit sie nicht so alleine ist haben wir ihre Freundin gleich mit eingepackt.
Es geht los
Drei potentielle Supermodels machen sich also auf den Weg nach Hanau zum Model Casting! Yay, eine von uns wird gewinnen. …… Hmm, also ich eher nicht, weil ich zu alt bin. Hmmm, die Erstgeborene wohl auch nicht, weil sie zu dünn für Plus Size Mode ist. Also, bleibt noch die Freundin der Erstgeborenen. Jaaaaaaa, wir gründen einen Fanclub und feuern die Freundin an, ein junges, hübsches Mädchen, das genau in das Beuteschema der Casting Agentur passt.
Eine Stunde Fahrt, wir parken direkt neben dem Hauptgebäude und rennen unserer Modelkarriere entgegen. Vorm Eingang machen wir alle noch schnell das letze unbezahlte Selfie unseres Lebens und rein geht es in das Abenteuer Model Casting. Mit Prosecco werden wir empfangen. Prosecco ist gut, der lockert die Stimmung. Als ob wir das nötig hätten, hatten wir doch auf der Fahrt schon so viel Spaß.
Die Mitarbeiter von Sheego versuchen uns in Richtung der neuen Kollektion zu lotsen, weil es dort gerade freie Umkleidekabinen hat. Im Raum neben an sitzen schon ein paar Frauen und lassen sich stylen. Wie jedes Mal ist die ortsansässige Makeup-Schule da und hübscht uns auf. Oh, da sind Plätze frei, also nichts wie hin. Mit Prosecco in der Hand, sitzen wir vor riesigen Spiegeln und lassen uns schminken. Das arme Mädel, das mich als Übungsobjekt erwischt hat, weiß so gar nicht was sie mit der alten Schabracke anfangen soll. Aber das Makeup muss schon ein bisschen aufgefrischt werden. Naja, aber bei meinen Haaren ist –wie immer- Hopfen und Malz verloren. Hatte ich am Morgen noch die perfekte Frisur, hängt nun alles nur noch traurig herunter, und das Mädel, die zukünftige Makeup Artistin, kann da auch nichts mehr retten. Bin ich mal freundlich und schiebe es auf meine Haarpracht.
Step für Step zum Supermodel
Step 1 haben wir also alle bewältigt. Wir sehen gut aus. Nun ab zu Step 2 die Setkarte ausfüllen. Jaaaaa, ich bekomme eine Setkarte….die erste Stufe auf dem Weg zu meinem Million-Dollar-Modelvertrag ist genommen. Ich habe eine Setkarte… eine leere Setkarte… da steht nix drauf.
Achso, ich soll die ausfüllen. Naja, dann tun wir das doch mal.
Name? Weiß ich, trage ich ein. Adresse? Kenne ich auch, schreibe ich also auch hin. Alter? Hmm, lüge ich jetzt und mach mich jünger? Niemals, 51 schreibe ich hin, weil 51 ist toll. Körpergröße? Auch das noch! Ok, dann schätzen wir doch mal und schreiben es auf. Maße? Wird das jetzt hier ein Ratespiel, oder was? Gut, dass eine Mitarbeiterin von Sheego mit dem Maßband bewaffnet genau darauf gewartet hat. Sie misst mich aus und wir schreiben es gemeinsam auf, mittlerweile bin ich nämlich schon ein wenig erschöpft von den Anforderungen hier.
Endlich halte ich eine ausgefüllte Setkarte in der Hand und denke, jetzt bist Du fertig und jetzt kommt endlich die große Karriere. Da erhalte ich die entscheidende Information über den nächsten Schritt. Step 3 ich brauche noch Fotos für die Setkarte. Na toll, wo soll ich die denn jetzt hernehmen? Warum hat mir das denn keiner vorher gesagt, vielleicht hätte ich ja noch welche in dem Schuhkarton gefunden, in dem immer unsere alten Bilder rumfliegen. Bestimmt hätte ich noch eines von mir gefunden auf dem ich nicht ganz so doof aussehe. Nette Kinderbilder von mir sind da drin, das wär doch was Dorit mit fünf.
Nein, Kinderbilder von mir wollen sie dann doch nicht. Und damit nicht jeder mit seinen alten Schulfotos ankommt hat Sheego für das Event extra eine Fotografin angeheuert, die uns ablichten wird. Ich stelle mich also in die Schlange vor dem improvisierten Fotostudio und treffe dort auch die Erstgeborene und die Freundin der Erstgeborenen wieder. Mittlerweile hatte ich schon ganz vergessen, dass die Beiden ja auch da sind. Ich war so mit meiner Karriere beschäftigt, da wird alles andere unwichtig.
Wir stehen also so in der Schlange und warten auf unser Foto-Shooting. Das mit dem Foto-Shooting machen die mit Absicht, hier können wir schon mal testen ob wir überhaupt kameratauglich sind, denken wir. Insgeheim wünschen wir uns, dass ist die Anforderung so groß wären, das haufenweise junge Frauen heulend aus dem improvisierten Fotostudio rennen. Ha! Wieder eine Konkurrentin weniger! Das ist Wunschdenken, natürlich ist es nicht so. Alle sind sehr nett zu uns und alle anwesenden Frauen fühlen sich wirklich wohl in der entspannten Atmosphäre.
Potentielle Models
Die beiden Mädels sind zuerst dran. Ich stehe rum und beobachte was sie so machen. Da wird gepost. Mädchen von rechts, Mädchen von links, Mädchen von vorn, Profilbild! Das können sie die Beiden, schließlich hat jede einen Instagram-Account. Jeder, der heute einen Instagram-Account hat kann posen. Alle können das. Außer ich. Ich seh´ immer blöd aus auf meinen Bildern.
Dann komme ich an die Reihe. Die Fotografin ist ganz nett und vor allem sagt sie einem wie man sich hinstellen soll. Das ist schon mal gut! Hab ich denn eine Ahnung wie man modelt?
Mehr rumdrehen, Kopf hoch, Kinn runter, Arm in die Hüfte, Arm hängen lassen. Oh, kannst du die Brille ausziehen? Können kann ich das schon, aber ich seh´ ohne Brille einfach nur Scheiße aus. Aber gut, was macht man denn nicht alles für die Karriere. Also ziehe ich meine Brille aus und wir machen das ganze Spiel noch einmal von vorn. Lachen, nicht lachen, Arm in die Hüfte, Arm hängen lassen, Profilbild!
Im Anschluss schauen wir uns die Bilder am Laptop an und suchen zwei für die Setkarte aus. Plötzlich summe ich „Wunder geschehen immer wieder….“ vor mich hin. Was war geschehen?
Die Fotografin kann was, weil ich sehe das erste Mal seit 35 Jahren nicht fürchterlich aus, so ganz ohne Brille. Brille hat beim Fotografieren immer das Problem, dass die Lichter spiegeln und das wollen wir ja nicht. Die Setkarte, die der Beginn meiner Supermodel-Karriere ist soll makellos und überzeugend sein.
So! Step 3 erledigt. Ich habe Fotos. Zwei Stück!
Auf zu Step 4 auf der Karriereleiter.
Bilder ausschneiden und aufkleben. Das kann ich. Auch das kriege ich hin. Schließlich bin ich einundfünfzig Jahre alt und habe schon öfter mal eine Schere in der Hand gehalten.
Yay! Ich habe die Hürden des Step 4 bewältigt, eine fertige Setkarte in der Hand und nun?
Auf zu Step 5 – Warten!
Wieder treffe ich die Erstgeborene und Freundin in der Warteschlange. Wir stehen vor dem Allerheiligsten. Die Tür ist verschlossen. Davor Security. Man wird nur mit Mitgliedsausweis, nach Outfitkontrolle und auf Aufforderung reingelassen.
Dieses Mal kommen strahlende Mädels an uns vorbei aus dem Raum. Sie strahlen, sie freuen sich, sie wünschen uns Glück und sie denken, sie hätten unseren Millionen-Dollar-Vertrag in der Tasche. Noch denken sie das, weil die Jury hat uns ja noch nicht gesehen. Mich, die alte Schabracke, die Erstgeborene, die zu dünn ist, und die Freundin, die ins Beuteschema passt.
Wir warten und warten und haben Spaß. Wir malen uns unsere Karriere aus. Jede verspricht der anderen, dass sie immer für Backstage-Pässe und Plätze in der ersten Reihe sorgt. Wir albern rum. Und dann geht die Türe auf, die erste von uns muss rein. Step 6 das eigentliche Casting beginnt! Die Freundin wird blass, die Erstgeborene und ich bleiben vor der Türe zurück und drücken ihr die Daumen. Minuten werden zu Stunden und nach gefühlten Ewigkeiten kommt die Freundin barfuß aus dem Allerheiligsten zurück?
Das Allerheiligste wartet auf uns
Was ist geschehen? Suchen die ein Fußmodel? Waren ihre alten Turnschuhe so toll, dass sie damit die Jury bestochen hat? Hat sie sich nur noch notdürftig wieder anziehen können?
Nein, Laufen auf High Heels war angesagt. Die Freundin ist happy, sie strahlt über das ganze Gesicht. Sie ist weder hingefallen, noch hat sie sich fast den Knöchel gebrochen, sie hat die Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Args! Laufen auf High Heels. In Schuhen, die nicht meine sind. In irgendwelchen alten Latschen? Na, mal sehen. Die Erstgeborene geht rein und stellt sich der Jury vor. Wie sie später erzählt, eröffnet sie mit den Worten: „Hallo, ich bin zu dünn für Euch. Aber ich wollte mal wissen wie das hier so abgeht!“ Die Lacher sind auf ihrer Seite, sie erzählt von sich. Die Jury bestaunt ihre Instagram-Bilder. Sie geben ihr Tipps. Sie scheinen die Erstgeborene zu mögen. Natürlich mag die Jury die Erstgeborene, die ist nämlich toll…..die Erstgeborene und die Jury. Dann kommt sie ebenfalls barfüßig wieder aus dem Raum. Auch die Erstgeborene hat die Challenge High Heels bestanden.
Und nun bin ich dran. “Und hier kommt die Mutter.”, spricht mich die Jury gleich an. Woher wissen die das denn nun schon wieder. Die Tochter und die Freundin haben geplaudert, über mich, wie ich auf die Idee kam die Mädels mitzubringen und über meinen Blog. Über meinen Blog! Das wollten die vier Jurymitglieder nun genauer wissen.
Drei Frauen, ein Mann. Die meisten davon könnten meine Kinder sein, wenn ich etwas früher angefangen hätte. Vertreter einer Kosmetikfirma, einer Model-Agentur und ein Plus Size Model! Boar. Eine, die schon die Karriere gemacht hat. Die schon den Millionen-Dollar-Vertrag bekommen hat.
Ok, dann erschlage ich Euch mal mit meiner Lebenserfahrung. Ich bin amüsant, ich bin witzig und ich strafe mein Alter lügen. Das haben sie nicht erwartet. Und ich lasse durchblicken, dass ich das alles nur aus Neugier mache. Dass ich einfach nur mal hinter die Kulissen gucken will. Es ist nett und ich habe Spaß!
Spaß – jetzt noch
Tja, und dann kommt die High Heels Challenge. Laufen sehen wollen sie mich, aber doch nicht in Chucks. Sie wollen High Heels. Sie haben Schuhe da, sogar in meiner Größe. Fürchterlich hohe Schuhe. Fürchterliche hohe Schuhe mit Stiletto-Absatz. Kein Problem. Ich kann fürchterlich hoch. Ich kann Stiletto. Ich kann in Stilettos sehr gut… sitzen. Und nun soll ich darin laufen. Was ein Graus. Bin ich doch seit einiger Zeit Knie-, Hüfte- und überhaupt Ganzkörpergeschädigt. Aber ich gebe mein Bestes, natürlich passen mir nur die ganz hohen Schuhe mit den ganz dünnen Absätzen. Aber egal, Augen zu und durch!
Beziehungsweise Schuhe an und laufen. Das tue ich. Elegant wie eine Elfe, schwebend wie eine Gazelle hüpfe ich den Catwalk lang.
Wackelnd wie ein Pferdeschwanz, humpelnd wie ein einbeiniger Pirat und stapfend wie ein Nilpferd trifft es ehr. Wann bin ich das letze Mal in Highheels rumgelaufen, das ist Monate wenn nicht gar Jahre her. Aber ich schlage mich tapfer. Die Karriere ist zerstört. Nichts wird es mit dem Millionen-Dollar-Modelvertrag. Und das alles nur, weil ich nicht auf den blöden Schuhen laufen kann. Na, vielleicht habe ich ja noch eine Chance und sie entdecken mich als Standup Comedian. Mist, das geht ja auch nicht. Models reden üblicherweise ja nicht, die sehen nur gut aus und können auf Highheels laufen.
Na egal. Ich weiß jetzt wie das läuft. Ich bedanke mich bei der Jury. Ich trete ab. Ich hatte Spaß.
Ich weiß, mit der Karriere wird es nun doch nichts. Ich weiß aber, dass ich die Erlebnisse in einem Blogbeitrag verarbeiten werde. Ich weiß das. Die Jury weiß das nicht.
Ich werde Model! Nein, jetzt werde ich doch lieber Undercover-Agent und verarbeite alle meine Erlebnisse in Blogbeiträgen.
Ach nee, stimmt! Das tue ich ja schon!
Eure Dorit